Zwei Monate in Uganda.
Mitte Oktober 2016. Es ist ein Freitagmorgen als ich die ersten Schritte über die YAWE- Schwelle setzte. George, der mich am Vortag am Flughafen begrüßt hatte, stellt mir das Team vor, vom dem ich sehr herzlich empfangen werde. Danach führt mich George durch die bestehenden und die im Entstehenden Räumlichkeiten von YAWE/ PfK. Gilbert, mit dem ich in den nächsten zwei Monaten hauptsächlich zusammenarbeiten werde, nimmt mich dann auch schon unter seine Fittiche: Er gibt mir einen guten Einblick über die Geschichten der Kinder, die wir betreuen werden. Dank seiner ausführlichen Notizen kann ich mir ein erstes Bild von den Kindern machen und ungefähr abschätzen, was mich erwarten wird.
Die folgenden Wochen bestehen daraus, dass Gilbert und ich mit dem Motorrad (auf abenteuerliche Weise) zu unseren kleinen Patienten fahren. Gemeinsam klären wir ab, wie die Kinder und Familien unterstützt werden können, ob Hilfsmittel/ Arztbesuche notwendig sind, und welche Art von Intervention angebracht ist. Uns ist wichtig, dass die gesamte Familie in die Rehabilitation mit eingebunden und motiviert ist. Mein Ziel war es auch Gilbert Skills mitzugeben, die er für die Hausbesuche bei den Kindern brauchen kann.
In der Zeit dort besuchten wir gemeinsam über 30 Kinder; sprachen mit Eltern, Verwandten, Nachbarn; hörten zu; versuchten zu verstehen und zu motivieren; zeigten Übungen und Tricks für den Alltag; organisierten Hilfsmittel.
Jedes Kind hat seine Geschichte, die erzählt werden müsste. Das würde jedoch jeglichen Rahmen sprengen. Stattdessen werde ich euch von zwei Ronalds erzählen.
Ronald ist neun Jahre alt. Er leidet unter einer starken Skoliose, kann seinen Kopf nur sehr eingeschränkt bewegen und kontrollieren. Nach längerem Sitzen verspürt er starke Schmerzen, so dass er nicht mehr zur Schule gehen kann. Gilbert und ich zeigten ihm Übungen, um die Beweglichkeit und Haltung zu verbessern. Als wir zum Follow-up nach 4 Wochen hinkamen, konnten wir erfreulicherweise große Fortschritte feststellen. Ronald hat selbständig sehr fleißig geübt und der Erfolg zeigt sich in seiner Beweglichkeit: er kann nun seinen Kopf schmerzfrei beiden Seiten drehen, die Kopfkontrolle und allgemein hat sich seine Haltung verbessert. Wie ich von Gilbert Mitte Februar erfahren habe, hat sich Ronalds Haltung kontinuierlich verbessert, so dass er jetzt wieder die Schule besuchen kann.
Die Fortschritte sind enorm: vorher und nachher
Ein anderer Ronald, aber auch ein großer Erfolg: Der Vierjährige wurde ein Monat vor meiner Ankunft ins Special Needs Projects aufgenommen, da er nicht gehen konnte. Bei der ersten Einheit wurde von YAWE gemeinsam mit KCDC ein Gehbarren gebaut, damit er täglich üben kann. Als wir zur zweiten Therapieeinheit hinkamen, konnte er bereits mit wenig Unterstützung einige Meter gehen und alleine stehen. Sein Nachbar gab an, dass Ronald täglich übt. Wir machten mit ihm noch eine Übung mit einem kleinen Hocker. Nach einigen Wiederholungen und Anleitung konnte er sich selbst auf den Hocker setzen. Seine Mutter, die gerade vom Feld zurückkam, war höchst erfreut, da sie ihn noch nie alleine auf einem Hocker sitzen gesehen hat. Jetzt versteht sie auch, welches Potential in ihm steckt. Wir freuten uns sehr mit Ronald und seiner Familie.
Die ersten Wochen in Uganda waren sicherlich nicht leicht. Durch meine Reisen in Asien war ich schon einigermaßen auf einen Kulturschock vorbereitet, dennoch erlebte ich tägliche Achterbahnen der Gefühle. Freude und Leid sind sehr nah beisammen. Gleich in der ersten Woche wohnten wir der Beerdigung eines Jugendlichen der YAWE- Familie bei, am nächsten Tag war ich auf einer traditionellen Hochzeit eingeladen.
Tiefe Betroffenheit lösten schwer vernachlässigte Kinder aus. Andrerseits brachte das Lächeln der Kinder und ihre Fortschritte mein Herz zum Springen. Tägliche Achterbahn eben.
In der Zeit, wo Gilbert anderweitig beschäftigt war, begleitete ich George. Er startete gemeinsam mit einer Gruppe Psychologen ein Projekt mit Jugendlichen in Untersuchungshaft, wohin ich ihn begleiten konnte. Angesichts der einfachen Zustände in dieser Einrichtung, war es mir wichtig die Zeit gut zu nutzen und das Beste daraus zu machen. Glücklicherweise zeigte sich der Sozialbetreuer Francis sehr unterstützend, somit konnten wir gemeinsam ein tägliches Sportprogramm erarbeiten. In der Hoffnung, dass dieses auch langfristig umgesetzt wird. Mit dem Sportprogramm wollten wir Kindern aktiv halten, den Teamgeist fördern und somit ihr Selbstbewusstsein steigern.
Über meine Mitbewohnerin Danielle, ihres Zeichen Peace Corps Volunteer, lernte ich David kennen, der Workshops über Permakultur gibt. Er erklärte sich dazu bereit, den Jugendlichen in Untersuchungshaft einen Workshop über nachhaltigen und wassersparenden Gemüse-/ Obstanbau zu geben. Ziel war es, den Jungs eine Beschäftigung bzw. Verantwortung über den Garten zu geben, für eine ausgewogene Ernährung in Gefängnis zu sorgen und den Jugendlichen etwas lehren, was sie für die Zeit nach der (Untersuchungs-) Haft anwenden können. In Absprache mit der Gefängnisleitung konnte David an einem Samstagvormittag den Jungs erklären, was man unter einer ausgeglichenen Ernährung versteht und wie man dazu selbst, ohne großen finanziellen Aufwand, Zugang hat. Das Feedback war durchwegs positiv. Die Burschen zeigten sich sehr interessiert und gaben sich viel Mühe im Garten selbst Hand anzulegen. Damit der Garten gepflegt werden kann, hat YAWE die Einrichtung mit zwei Schaufeln unterstützt.
Mein dritter Baustein in der Jugendeinrichtung bestand aus der physiotherapeutische Betreuung. Einige berichteten von akuten und teilweise lang anhaltenden Schmerzen, die ich mir bei meinen Besuchen behandelte.
Die erste Woche im Dezember stand ganz im Zeichen der HIV/ AIDS Youth Conference und des Welt AIDS Tages. Da Gilbert mit den Vorbereitungen beschäftigt war, nutzte ich die Zeit, um eine kleine Zusammenfassung über verbreitete Krankheitsbilder für Gilbert zu schreiben. So hat Gilbert nun auch was Schriftliches für die Zeit nach meinem Aufenthalt. Außerdem konnte ich Tadeo beim Wissenschaftlichen Arbeiten behilflich sein.
Bei der fünftägigen Youth Conference, die für die HIV-positiven Jugendlichen aus den umliegenden Dörfern organisiert wurde, wurden Vorträge zu diversen Themen gehalten: Gesundheit, Selbstbewusstsein, Stigmatisierung usw. Aufgelockert wurden die Workshops von einer Breakdance Gruppe aus Kampala, wo sich die Jugendlichen kreativ austoben konnten.
Am 1. Dezember marschierten alle Jugendlichen der Youth Conference gemeinsam mit dem YAWE- Staff, zum Veranstaltungsgelände des Welt-AIDS Tages. Dieses Event wurde durch die Zusammenarbeit mit diversen NGO´s und dem Health District ermöglicht. Durch den Marsch sollten die Menschen in den Dörfern auf das Event aufmerksam gemacht werden, wo Services zur Familienplanung, HIV- Tests, Blutspenden usw. angeboten wurden. Neben vielen motivierenden Reden und Aufklärung zum Thema HIV gab es Unterhaltung von diversen Gruppen: Die YAWE Drama-Group und die Brass Band lieferten ausgezeichnete Performances.
Am Abend fand im Zentrum von Fort Portal Aufführungen statt. Zusätzlich zur Unterhaltung wurden gratis HIV- Tests angeboten. Ziel war es möglichst viele Menschen damit anzusprechen.
Das darauffolgende Dezemberwochenende buchten Sister Irene, ihre Freundinnen und ich eine Safari zum Queen Elisabeth National Park mit YAWE Tourism. Der Fahrer holte uns früh morgens ab, nach einem kurzen Zwischenstopp am Äquator, ging es weiter zum Game Drive. Dabei haben wir Wasserbüffel, Antilopen, Wasserböcke, Warzenschweine, Paviane und Elefanten gesehen. Leider hatten sich die Löwen gut versteckt. Nach einer Mittagspause am Kazinga Channel, machten wir uns auf zur Bootsfahrt am Lake Edward. Nilpferde, Büffel und eine unendliche Anzahl von Vögeln säumten das Ufer des Channels. Es war ein sehr gelungener und wunderbarer Ausflug mit YAWE Tourism.
Während der gesamten Zeit war ich in einem sehr schönen Haus mit Danielle und Julies (der arbeitsbedingt nur sporadisch zu Hause war) untergebracht. Dadurch, dass Danielle schon über ein Jahr in Fort Portal lebte, erleichterte sie mir den Aufenthalt ungemein. Wo was am besten einkaufen? Wieviel was kostet? Welchen Boda- Boda Fahrer vertrauen? Wohin mal auf ein Bier gehen? Wie am besten ungewünschte Haustiere bekämpfen? Oder einfach nur mal am Abend zusammen sitzen und über unsere Erfahrungen reden.
Mitte Dezember näherte sich leisen Schrittes das Ende meiner Zeit mit der YAWE/ PfK- Familie. Zeitgleich beendete auch Sister Irene ihren Dienst bei YAWE/PfK. Ich war völlig überrascht, dass für uns eine wunderbare, super herzliche Abschiedsfeier veranstaltet wurde. Nach berührenden Ansprachen von George, Tadeo und Gilbert, gab es ein leckeres Essen und Kuchen. Und ganz viele Gruppenfotos.